Zeitschnitt um 1965

Willy Brandt
Quelle: Archiv der Sozialen Demokratie, Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn
Mitte der 1960er Jahre fand ein merklicher Umschwung in der Denkweise der Politik statt, die in engem Zusammenhang mit dem Regierungswechsel der Bundesebene ("Große Koalition" unter Willy Brandt) und auf Landesebene (SPD/FDP) stand.

Eine Arbeitsgruppe verschiedener Ministerien kam im Jahr 1964 zu dem Ergebnis, "dass im Ruhrgebiet zur Verhinderung eines weiteren Zurückbleibens hinter der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung des Landes eine Verbesserung der Wirtschaftsstruktur und eine Erhöhung der Attraktivität durch Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse erforderlich sind" (Internet 1).
Kraftwerk Scholven (Gelsenkirchen)
Quelle: Holger Janietz
Dieses Umdenken erhielt u.a. durch den Ausbruch der ersten Kohlenkrise (1957) und den fortdauernden Preisverfall des Erdöls, vor allem aber durch Willy Brandts Aufbruchsignal im Jahre 1961, Erklärung des "Blauen Himmels über der Ruhr", die entscheidenden Impulse.
Mentale Altlasten
Quelle: Autorenteam
Die geeigneten Maßnahmen zur Erreichung dieser hochgesteckten Ziele wurden im Jahr 1967 zu einem "Plan der Neuindustrialisierung der Kohlenreviere" zusammengefasst, der jedoch nicht realisiert werden konnte (Brümmer/Stoffregen/Weichert 1982, S. 27). Insbesondere stand dem die Einschätzung der regionalen Großunternehmen entgegen, die die Krise als Konjunktur-, nicht aber als Strukturschwäche bewerteten und den Plan einer Neuindustrialisierung eher für kontraproduktiv hielten. Dem entsprach ganz ihr Handeln: Sie gaben die Flächen für Ansiedlungswünsche moderner Branchen nicht frei.

Aus dem Scheitern des wirtschaftsorientierten Programms zur Neu-Industrialisierung, der ersten Phase der regionalen Strukturpolitik, wurde gelernt: Das "Entwicklungsprogramm Ruhr (EPR)" von 1968 setzte drei deutlich erweiterte Ziele: (a) die Mobilisierung des Bodens und des Kapitals; (b) die Steigerung der räumlichen Mobilität der Beschäftigten und (c) die Förderung der "geistigen Mobilität" der Arbeitskräfte (Wissen 2000, S. 46 - 51) (s. Thema "Strukturpolitik für das Ruhrgebiet").

Die Größenordnung dieses Vorhabens war - und musste sein - nicht weniger als allumfassend. Sie betraf die Modernisierung des gesamten Ruhrgebiets durch:
  • die Rationalisierung der Raumstruktur
  • den Aufbau des Hochschulsystems
  • den Ausbau des Siedlungs- und Verkehrssystems
  • die Ansiedlung nichtmontanindustrieller Betriebe

Diesem neuen Denken gelang es zunächst, die Bildungsblockade aufzuheben und damit eine der Voraussetzungen für die wirtschaftliche Erneuerung zu schaffen. Die Bodensperre aber blieb zunächst noch weiterhin wirksam.