Vertiefung: Entwicklung der kommunalen Wirtschaftsförderung im Ruhrgebiet

Bereits in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren war vielerorts die Notwendigkeit erkannt worden, die einseitige Wirtschaftsstruktur zu diversifizieren, stärker auf den Dienstleistungssektor und auf Frauenarbeitsplätze zu setzen. Die einsetzende Bergbaukrise machte die Gefahr von kommunalen Einnahmeverlusten aus der Gewerbesteuer deutlich. Das Ziel von Ersatzarbeitsplätzen durch Gewerbeansiedlung bei entsprechender Flächenbereitstellung rückte von nun an ins Zentrum der neu geschaffenen kommunalen Wirtschaftsförderungseinrichtungen. Diese Politik hat die nächsten 25 Jahre - eine ganze Generation - bestimmt.

Zunächst war der Flächenengpass nur schwer überwindbar. Die Montankonzerne gaben ihre riesigen Flächen nicht frei, da Bergschadensrisiken und Haftungsansprüche drohten, andererseits aber auch die durch Neuansiedlungen entstehende Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt unliebsam war. Boden-Altlasten waren zu dieser Zeit - bis in die 1970er Jahre - als umfassendes Problem noch nicht wahrgenommen. (Nähere Informationen zur Bodensperre siehe Thema "Hürden des strukturellen Wandels".)
Während und nach der gelungenen Bodenmobilisierung durch die "Aktionsgemeinschaft Deutscher Steinkohlenreviere/ADS" (1966 - 1989) und besonders durch den 1980 ins Leben gerufenen "Grundstückfonds Ruhr" - von der "Landesentwicklungsgesellschaft/LEG" betreut, traten neue Hindernisse auf: Die kosten- und zeitaufwendigen Aufbereitungsmaßnahmen der Altlasten-Sanierung verzögerten und hinderten deren Neunutzung u.a. durch Untersuchung und Beseitigung der bodenchemischen Kontaminationen, der Bauten und Alt-Infrastruktur, durch aufwendige Erschließungsmaßnahmen sowie fallweise auch durch Bürgereinsprüche. Gleichwohl lockerte sich das Problem der Flächenverfügbarkeit im Lauf der 1980er Jahre zunehmend, so dass von einem allgemeinen Engpass nicht mehr gesprochen werden kann.
Die ehemalige Deutschland-Zentrale des finnischen Herstellers Nokia in Bochum (im Juni 2008 geschlossen)
Quelle: RVR-Fotoarchiv
Inzwischen aber hatte sich das Potenzial an Neuansiedlungen - nicht nur bezogen auf Großunternehmen und nicht nur im Ruhrgebiet, sondern bundesweit - als ausgesprochen schwach erwiesen. Die Hoffnung auf Ersatzarbeitsplätze durch industrielle Neu-, gar Großansiedlungen "von außen" zerrann, selbst wenn im mittelbetrieblichen Bereich zeit- und ortsweise gewisse Ansiedlungserfolge von (Montage-) Zweigwerken verzeichnet werden konnten (vgl. Goch 2002, S. 322, 344 f.), die besonders auf den montanindustriell nur schwach entfalteten Arbeitsmarkt für Frauen setzten.

In dem Maße wie das Flächenangebot begann, die Nachfrage zu übersteigen, verschärfte sich der Wettbewerb um potenzielle Ansiedler. Kommunalkonkurrenz und "Kirchturmdenken" wurden im Kampf um Investoren fast zwangsläufig gestärkt.
Mangels innovativer kommunalpolitischer Ideen oder gar neuer unverwechselbarer Leitbilder wurde dieser Konkurrenzkampf in zwei Arenen ausgetragen: einerseits über Dumping-Bodenpreise und kostenlose oder unterpreisige Zusatzleistungen u.ä. In bestimmten Fällen wurden Bodenpreissubventionen von bis zu 30 % unter Verkehrswert beobachtet (Goch 2002, S. 346). Beispielsweise berichtete die WAZ vom 5. Juli 1995, dass Dortmund ein Briefverteilzentrum, mit 600 Arbeitsplätzen in Herne geplant, abwerben konnte.

Zum anderen hatten Nachahmungsstrategien Hochkonjunktur, in denen es um eine möglichst rasche Übernahme der jeweils marktgängigen Entwicklungsidee ging. Die im Folgenden skizzierten Innovationsschübe traten denn auch in Schwärmen auf und überzogen das Ruhrgebiet in kurzer Zeit. Nach den enttäuschenden Ergebnissen der Neuansiedlungs-Strategie schwenkte der "Mainstream" kommunaler Wirtschaftsförderung um: Die neuen Hoffnungsträger hießen nun "Endogene Potenzialstrategien", in denen die Weckung, Stärkung und Bündelung regional innenbürtiger Chancen der Wirtschaft, d.h. auch die bestehenden Unternehmen, gefördert wurden. Dabei ging es im Wesentlichen um den Mittelstand und hier verstärkt um das Wachstumspotenzial der Dienstleistungen bzw. des Einzelhandels.
Einkaufszentrum RuhrPark in Bochum
Quelle: RVR-Fotoarchiv
In den 1970er Jahren - nach dem Erfolg des 1964 eröffneten RuhrParks in Bochum - war ein Boom an neuen Einzelhandels-Großeinrichtungen zunächst "auf der grünen Wiese", später auch stadtteilintegriert, zu beobachten. Es galt, das Kaufkraftpotenzial von 5,7 Mio. Menschen regional zu bedienen. Eine Generation später, 1996, bahnte sich mit der Eröffnung des CentrO in Oberhausen - auf dem Gelände der ehemaligen Gutehoffnungshütte/Thyssen gelegen - ein neuer kommunaler Wettlauf besonders um innerstädtische Multifunktions- und Einzelhandelsstandorte an: Planungen wie das Multi Casa in Duisburg oder die Bahnhofsüberbauungen in Essen und Dortmund sind zwar nicht umgesetzt worden, dennoch eröffnete in Essen im März 2008 der erste Bauabschnitt des Einkaufszentrums "Limbecker Platz" (nach Fertigstellung ca. 70.000 qm Verkaufsfläche) und im September 2008 das Forum in Duisburg (ca. 57.000 qm). Mit Hattingen (Reschopp Caree, ca. 10.000 qm) und Witten (Stadt Galerie, ca. 12.500 qm) folgen 2009 mindestens zwei weitere Einkaufszentren im Ruhrgebiet. Der Bau solcher Zentren ist nicht unumstritten, wie auch ein aktuelles Beispiel in Recklinghausen verdeutlicht. Hier ist ein Einkaufzentrum (Löhrhof-Arcaden) mit einer Einzelhandelsfläche von ca. 30.000 qm vorgesehen. Akteure aus Recklinghausen selber (bestehender Einzelhandel, Politik etc.), wie auch aus Gelsenkirchen stoßen sich an diesem Vorhaben.
Weitere Phasen der kommunalen Wirtschaftspolitik folgten: Die 1980er Jahre verzeichneten zunächst eine neue Strategie-Variante der endogenen Potenzial-Entwicklung, die sich nun verstärkt dem produzierenden Gewerbe zuwandte: Die Bestandspflege vor allem der ortsansässigen klein- und mittelständischen Unternehmen stand jetzt im Vordergrund. Es ging im Zeichen der endogenen Potenziale um die Stärkung ihrer Innovationsfähigkeit. Damit aber musste sich die kommunale Wirtschaftsförderung auf neues Terrain begeben. Technologische Modernisierung (Technologiezentren), später auch Technologietransfer (Technologietransferstellen u.a. an den Hochschulen), damit in zunehmendem Maße Beratung, Moderation, Netzwerkbildung und "Runde Tische" waren gefragt.

Die bisher dominierende Förderpolitik der "harten Standortfaktoren" wie Flächenerschließung, Bodenpreise und Infrastruktur-Qualität weitete sich aus auf "weiche Faktoren" zur Förderung der Kommunikationskultur, so z.B. zwischen privatwirtschaftlichen und kommunalen Akteuren ("Privat Public Partnerships/PPP") sowie den sog. "Trägern öffentlicher Belange" wie den Industrie- und Handelskammern. Auch die neue Aufmerksamkeit für eine aufwendige Pflege und Entwicklung des Stadt- bzw. Standort-Images für das Standortmarketing fällt in diese Zeit.

Die kommunale Wirtschaftsförderung sah sich mit immer komplexeren Herausforderungen konfrontiert. Angesichts der sich in den 1990er Jahren verschärfenden ökonomischen, sozialen und besonders räumlichen Disparitäten im Ruhrgebiet und der zugleich abnehmenden Entwicklungsspielräume ist in dieser Zeit auch die kommunale Kulturpolitik als wichtiges Instrument in der Konkurrenz um endogene Potenziale und weiche Standortfaktoren entdeckt worden (vgl. Goch 2002, S. 361).

Mit der neuen kommunalen Kulturpolitik dürften zusätzliche Probleme entstehen: Nicht zuletzt die Erfahrung mit der teilweise sehr kurzlebigen Musical-Welle ("Les Misérables" in Duisburg; "Joseph" in Essen; "Tabaluga" in Oberhausen, immer noch "Starlight" in Bochum), deren Einrichtungen von den Städten nicht unerheblich subventioniert worden waren, belegt: Die gleichgerichtete, breitenwirksame Verbindung von Kultur und Kommerz unterliegt einer Eigendynamik, die - abgesehen von Mitnahme-Effekten - die Einflussnahme durch Wirtschaftsförderung übersteigt.

Zudem fördern derartige Imitations-Strategien die Gleichartigkeit der Standortqualitäten. Erreichen sie u.U. damit das genaue Gegenteil dessen, was im Sinne der unverwechselbaren, einzigartigen Standortprofile immer lauter in der neuen (europäischen) Konkurrenz der Regionen gefordert wird? Das gilt für Technologiezentren wie für Konzerthäuser (nach Dortmund, Essen und Duisburg nun auch in Bochum) ebenso wie für Skizentren (nach dem Alpin Center in Bottrop plante auch Castrop Rauxel): Sollte es nicht anstelle einer Vervielfachung von Gleichem eher um funktional und räumlich sich ergänzende Arbeitsteilung gehen? Mit der neuen (regionalisierten) Strategie der Kompetenzfeldwirtschaft, in der sich Land, Region (RVR) und viele Kommunen einig sind, könnte ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan werden (s. Thema "Kompetenzfeldwirtschaft").

Dabei wird deutlich, dass sich die kommunale Wirtschaftsförderung nicht mehr auf ihr traditionelles Selbstverständnis zurückziehen kann: Die Herausforderungen werden fachlich komplexer, räumlich weiter - erfolgreiche Strategien müssen im gesamtregionalen Rahmen abgestimmt sein - und zeitlich ausgedehnter: Die Erfolge der kommunalen Wirtschaftsförderung benötigen eine eher mittel- bis langfristige Ausreifungszeit. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist getan: Mit der Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr GmbH (wmr) hat das Ruhrgebiet seit Januar 2007 eine regionale Wirtschaftsförderungsgesellschaft (s. Wirtschaftsförderung aktuell).
  • Goch, S. (2002): Eine Region im Kampf mit dem Strukturwandel: Bewältigung von Strukturwandel und Strukturpolitik im Ruhrgebiet. Essen