2. Wirtschaftsaufschwung

Der Wirtschaftsaufschwung fand zunächst in den Energie- sowie Investitionsgüterindustrien statt, wovon in erster Linie die Schwerindustrien des Ruhrgebietes profitierten - bis in die Mitte der 1970er Jahre galt das Ruhrgebiet als "Quelle" des Wirtschaftswunders. In den 1950er Jahren entstanden rund drei Millionen neue Arbeitsplätze, im anschließenden Jahrzehnt immerhin noch etwa 600.000. Rationalisierungsmaßnahmen mündeten nicht in Arbeitsplatzabbau, sondern wurden durch Wachstum kompensiert.

Zu dieser Zeit wurde es auch der "breiten Masse" möglich, an der Produktivität bzw. am Aufschwung der Industrie zu partizipieren, am Wohlstand teilzuhaben. Es entstand eine moderne Infrastruktur in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens: Bildung (Schul- und Hochschulbau), Kultur (Theater, Museen), Freizeit (Revierparks). Nach amerikanischen Mustern wurden große Kauf- und Freizeitzentren "auf der grünen Wiese" (Ruhr-Park) oder auf Brachflächen, wie ehemalige Zechengelände, errichtet (Rhein Ruhr Zentrum), die Innenstädte reagierten durch Strategien der "City-Bildung". Neue Städte wurden gegründet, so zum Beispiel die "Neue Stadt Wulfen" in der Nähe der (heute geschlossenen) Zeche Neu-Wulfen (s. Downloadbereich).
Ruhr-Park (Bochum-Harpen)
Quelle: RVR-Luftbildarchiv
Mietskasernen-Stil, Hagensdorf, Duisburg-Neumühl
Quelle: Günter 1994, S. 243
Im Zuge des Bevölkerungswachstums, nicht zuletzt beschleunigt durch Kriegsheimkehrer und Zuwanderer bzw. Arbeitskräfte aus dem deutschen Osten, wurden mit Mitteln des Marshall-Plans großflächige Wohnsiedlungen nach in der Regel gleichem (Mietskasernen-) Muster konzipiert: lange Zeilenbauten mit giebelständigen Satteldächern, dazwischen glatte Rasenflächen; anfangs zwei-, später drei- bis viergeschossig. Ihnen folgten hochgeschossige Großwohnanlagen, oft als "sozialer Wohnungsbau ausgewiesen" (vgl. Abbildungsbeispiele), aber auch Einfamilienhäuser im suburbanen Raum "auf der grünen Wiese".
Großwohnanlage, Gelsenkirchen-Mitte
Quelle: Günter 1994, S. 243
In den Erfolgen des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders erschien die Steuerbarkeit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung unbegrenzt. Selbst eine völlige "Neuindustrialisierung" der Region "aus einem Guss" - ermöglicht durch eine Mobilisierung von Boden, Kapital und Arbeitskräften - wurde als machbar erachtet: Die hohe Zeit der "Integrierten Entwicklungsplanung" brach an. In diesem Einheitsdenken standardisierten sich Stadtbild, suburbaner Raum und Freiraum, wurden diffus und beliebig austauschbar (s. Thema "Freiraum und Grünflächen").
Identifikationsfähige Raumstrukturen lösten sich auf. Die Konsequenzen der Suburbanisierung sind heute in einer weitreichenden Zersiedlung der Landschaft sowie vor dem Hintergrund einer fehlenden integrierten Verkehrspolitik in der fortdauernden Zunahme von Verkehr und Verkehrsflächen zu beobachten.