Wiedergeburt oder Flucht?

In der vergangenen wie auch in der gegenwärtigen Diskussion lassen sich verschiedene Modelle bzw. Leitbilder für das Ruhrgebiet erkennen. Sie sind klare Indikatoren für den Orientierungs- und Bewusstseinswandel der regionalen (planungspolitischen) Eliten. Die Leitbilder zur Zukunft der Region spiegeln aber auch hart kontrastierende Vorstellungen wider, die auf ganz unterschiedlichen regionsbezogenen Mustern des Wahrnehmens, Denkens und Handelns beruhen.
Bis in die 1980er Jahre schienen der planungsgesteuerte Strukturwandel und Aufschwung, die Wiedergeburt eines modernisierten industriellen Ruhrgebietes, nur eine Frage der Zeit zu sein. Programme und Subventionen hatten der Montanregion ökonomische und städtebauliche Erneuerungen beschert, aber auch zu einer neuen Normalität wie dem "blauen Himmel über der Ruhr" verholfen. Anfang der 1990er Jahre schien sogar der Vereinigungsboom Träume vom Wirtschaftswachstum vergangener Jahrzehnte wahr werden zu lassen.
Lichtermeer von Oberhausen
Quelle: RVR-Fotoarchiv
Jüngere Leitbilder - geboren in Zeiten wirtschaftlicher Schwäche und leerer öffentlicher Kassen - legen ihre Hoffnungen mehr in raumordnungspolitische Visionen: Da ist zum einen das Ruhrstadt-Modell, unter dem sehr Unterschiedliches verstanden wird, vom kommunalen Zweckverband bis hin zu kooperierenden, gar integrierten Großstadtkommunen (s. Thema "Zukünfte im Ruhrgebiet"). Bei diesem Modell werden hinreichende Gemeinsamkeiten als existent vorausgesetzt. Aber gerade dieser Ansatz steht den Absetzungsbewegungen der Flügelstädte des Ruhrgebietes gegenüber. Ausgehend von einem in Teilregionen zerfallenden Ruhrgebiet, halten sie eine Zentralisierung der Kompetenzen für kontraproduktiv. Dortmund versteht sich als Zentrum des östlichen Westfalens, Hagen als "Tor zum Sauerland", Duisburg als Zentrum des Niederrheins.

Zum anderen gibt es das Modell einer Großregion Rhein-Ruhr, das sich am deutlichsten von der Vorstellung einer regionalen Zukunft und Alleinstellung des Ruhrgebietes verabschiedet. Der Grund dafür ist nicht nur die oben angesprochenen Absetzungsbewegungen und die daraus resultierenden Schwächungen des regionalen Zusammenhalts, sondern auch Erfordernisse auf europäischer, nationaler und globaler Ebene (Rohe, 2001). Im Winter 2002/03 fand eine Ausstellung in Düsseldorf mit dem Titel "RheinRuhrCity - die unentdeckte Metropole" statt. Angestrebtes Ziel der Ausstellung war die Anregung zur Diskussion über die mögliche Zukunft der Rhein-Ruhr Region. Die spezifischen Eigenarten und Zukunftsperspektiven sowie Szenarien möglicher Entwicklungen des Ballungsraumes, vor allem aber die Entfaltungsmöglichkeiten einer gemeinsamen Rhein-Ruhr-Region waren Gegenstand und Ziel der Ausstellung (NRW-Forum Kultur und Wirtschaft Düsseldorf 2002).
Cover des Katalogs zur Ausstellung "RheinRuhrCity"
Quelle: NRW-Forum Kultur und Wirtschaft Düsseldorf 2000, mit freundlicher Genehmigung freigegeben
Unverständlich aber bleibt dabei, warum die leitende Architektengruppe um Winy Maas diese (seine) Region zwar mit Düsseldorf, aber ohne Köln und Bonn definiert hat. Diese halbherzige und nicht lebensfähige Kunst(fehler-)region leidet zudem darunter, dass Düsseldorf und Duisburg zugleich Mitglied einer weiteren Kunstregion "Rhein-Central" - Köln, Düsseldorf und Duisburg umfassend - sein sollen (NRW-Forum Kultur und Wirtschaft 2002, S. 336 - 343). So wird eine ernst zu nehmende Rhein-Ruhr-Region, die Köln und Bonn umfasst und so Chancen auf einen Platz unter den Spitzen der europäischen Regionen beanspruchen könnte, verpasst.

Das Modell der Metropolregion Rhein-Ruhr (MRR), wie es vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS NRW) entworfen worden ist, erscheint in diesem Zusammenhang sehr viel erfolgversprechender (läuft zugleich aber Gefahr, dass das Ruhrgebiet "als Rucksack mitgeschleppt" und die vergleichsweise hohen Disparitäten zwischen Rhein und Ruhr verfestigt würden; vgl. Thema "Zukünfte im Ruhrgebiet").
Der Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) in der Metropolregion Rhein-Ruhr
Quelle: Wiese 2002, Beilage in Schulbuchinformationsdienst Ruhrgebiet, Nr. 44
Zusammenfassend wird deutlich, dass die Identifikationsbereitschaft mit dem Ruhrgebiet seitens mancher politischer Eliten, besonders die der Flügelstädte, noch keineswegs auf starken Beinen steht. Die sozialkulturellen Potenziale zu einem stärkeren identifikatorischen Bezug zum gesamten Ruhrgebiet scheinen seitens der Bevölkerung vorhanden und müssen weiterentwickelt werden, damit zukunftsfähige regionale Leitbilder und deren Voraussetzung, eine regionale Identität als Orientierungsgröße, entstehen können (siehe hierzu auch das Thema "Zukünfte im Ruhrgebiet").