Krise des Montansektors

Brachliegendes Gelände der Zeche Grimberg 3/4 in Bergkamen
Quelle: Janietz
Steinkohle war in Deutschland bis in die späten 1950er Jahre neben der Braunkohle der wichtigste, fast ausschließliche Energieträger. Sie war alternativlos einer der Eckpfeiler des wirtschaftlichen Aufschwungs der Bundesrepublik Deutschland. Mitte der 1950er Jahre, in den der Korea-Krise folgenden Boomjahren, mussten sogar Engpässe in der heimischen Kohlenförderung und Energieversorgung befürchtet werden. Vorbeugend schlossen daher die Bergbaugesellschaften noch 1956 langfristige Importverträge ab. Aber schon zwei Jahre später war man gezwungen, sich mit staatlicher Hilfe von diesen Verträgen wieder freizukaufen. Was war geschehen?

Besonders die Öffnung der internationalen Märkte für Kohle-Importe - gefördert durch die neue Einbindung in die westliche Allianz - bedeutete für die monostrukturierte Ruhrwirtschaft einen bis dahin nicht gekannten Konkurrenzdruck.
Abrissarbeiten auf dem Gelände der Zeche Hannover in Bochum-Hordel
Quelle: Janietz
Erinnert sei an die zwar wertvolle Steinkohle, die aber aus großer Tiefe und unter ungünstigen geologischen Lagerungsverhältnissen, d.h. äußerst kostenaufwendig gefördert werden musste (s. Thema "Kohle"). Gleichwohl waren die Preise staatlich sehr niedrig und weit unter dem Niveau der Kostendeckung fixiert worden. Die Folgen der damit verbundenen Milliardenverluste waren, dass man weder in neue Schächte noch in die technische Modernisierung der Kohlenförderung und -verarbeitung investieren konnte.
Einerseits entstanden so zunehmende Engpässe in den Förderkapazitäten, da die Exportverpflichtungen des Ruhrstatuts nicht gelockert wurden und daher der Bedarf des rasanten Wirtschaftswachstums nicht gedeckt werden konnte. Andererseits verschaffte sich so die internationale Konkurrenz einen Vorsprung, der erst in den 1960er Jahren wieder aufgeholt werden konnte.

Die Volumina an billiger Importkohle nahmen zu, denn die deutsche Wirtschaft "hungerte" nach Energie. Gleichzeitig fielen die Preise für Überseetransporte durch die geringen Förderkosten (z.B. Tagebau mit über 20 m dicken Flözen und Transporten in immer größeren Schiffseinheiten) erheblich. Noch 1957 hatte man von Deutschland eine Steigerung der Förderung und den Bau neuer Schächte gefordert und eingeleitet.

Die neuen Rahmenbedingungen wurden aber nicht angemessen eingeschätzt. Die erste Kohlekrise traf das Ruhrgebiet daher unvorbereitet: Am 22. Februar 1958 wurde die erste Feierschicht auf der Zeche Rosenblumendelle in Mülheim an der Ruhr gefahren.

Ein zweiter Ursachenkomplex verschärfte diese Situation: Nach Bewältigung der Korea- und der Suezkrise (1956) entstand ein zunehmender Druck, die Kohle durch andere Energieträger wie Erdöl, Erdgas und Elektrizität (später Atomenergie) zu ersetzen. Überdies vermochten auch einige klassische Abnehmer wie die stahlerzeugende Industrie und die Eisenbahn (Dampflokomotiven) ihren Kohlenverbrauch drastisch zu reduzieren.

Allerdings wollte man die Strukturkrise als solche einfach nicht wahrhaben, sie wurde vielmehr als konjunkturelle, also vorübergehende Schwäche erachtet. Einhundert Jahre erfolgreiche Industrie-Erfahrungen hatten die Mentalität und das Bewusstsein so stark geprägt, dass eine gegenläufige wirtschaftliche Entwicklung und eine andere als montanindustriell geprägte Struktur nicht vorstellbar war (Schlieper 1986, S. 180).

Die Golfstaaten drängten mit Dumpingpreisen für Öl auf die europäischen Energiemärkte. So sank der Anteil der Steinkohle am Primärenergieverbrauch der Bundesrepublik Deutschland in den Folgejahren kontinuierlich von 70 % (1955) auf 20,9 % (1981) (Dege/Dege 1983, S. 75). Die nun chronisch werdenden Absatzschwierigkeiten erzwangen eine stetige Reduzierung von Kapazität und Förderung.

Waren in den Jahren nach 1957 noch 50 neue Schächte abgeteuft worden, so wurden zwischen 1958 und 1964 bereits 27 unrentable Schächte mit einer Jahresproduktion von 14 Mio. t stillgelegt. Durch Absatzschwierigkeiten, besonders aber durch den enormen Rationalisierungsdruck halbierte sich von 1950 bis 1966 die Zahl der Bergleute. Ab 1964 trat zusätzlich das Instrument der Stilllegungsprämien in Kraft, mit dem die Förderung um weitere 26 Mio. Jahrestonnen gemindert werden sollte.

Die sich ausweitenden Schließungspläne der Zechen waren von erbitterten Protesten und Streiks begleitet. Denn die Bergarbeiter hatten erfahren müssen, dass in der Region keine Ersatzarbeitsplätze zu bekommen waren. Nun rächte sich die Strategie der "Bodensperre" (s. Thema "Hürden des strukturellen Wandels") durch die Bergbau-Unternehmen. Deren Kassen waren dank der Stilllegungsprämien durchaus gefüllt, die umfangreichen Industrieflächen in ihrem Besitz standen nicht oder nur zu unattraktiven Bedingungen (z.B. Übernahme der Bergschadensrisiken) zum Verkauf.